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Hilfseinsatz im Flüchtlingslager Frakapor, Griechenland – September 2016

Gastbeitrag von Theresa Quast (die bereits aus Lesbos und Idomeni berichtete)

“Ich finde keine Worte für das Gefühl, das ich empfand, als ich meinen Körper durch die Flughafenhallen Thessalonikis in Griechenland trug, um in den Flieger zurück nach Deutschland zu steigen. Eigentlich lastete dieses schwere Gefühl bereits auf mir, als ich mich ein paar Stunden zuvor von den vielen liebenswerten Bewohnerinnen und Bewohnern aus dem Flüchtlingslager Frakapor in Sindos verabschiedete. Bei der Verabschiedung wussten beide Seiten, dass ich nun in die andere Welt zurückkehren würde. Mein Gegenüber wusste, dass bei mir die „Normalität“, der geregelte Alltag sofort weitergehen könnte, wenn ich mich nur dafür entschied. Und dass mich das Flugzeug ohne Probleme innerhalb von zweieinhalb Stunden in das Land bringen würde, in dem Mutter, Vater, Kind, Schwester, Bruder, Onkel oder Tante wohnen. Deutschland, eines der Länder, in das sie einst all ihre Hoffnung gesteckt hatten. Am liebsten hätte ich dieses Privileg gar nicht genutzt und wäre bei meinen neu gewonnenen Freundinnen und Freunden geblieben. Aber wenn mir die Menschen aus dem Camp etwas mit auf den Weg gegeben haben, dann ist es, wie wichtig die eigene Familie ist. Also stieg ich in den Flieger und schreibe diese Zeilen nun von Deutschland aus.

Während meines Einsatzes veränderte sich die Zukunftsvision für einige Bewohner grundlegend. So verfolge ich mit diesem Bericht zwei Ziele. Erstens, die Beschreibung unserer Arbeit als freiwillige Helfer und der allgemeinen Umstände im Norden von Griechenland. Und zweitens möchte ich einen lauten Hilferuf weiterleiten.

Mittlerweile sind um die 60.000 Menschen in Griechenland gestrandet und haben keine (konkreten) Zukunftsperspektiven.

Die Organisation Swisscross.help, die in privater Initiative 2015 durch Michael Räber gegründet wurde, hat sich zwei Flüchtlingslagern in Griechenland mit insgesamt circa 1.100 Bewohnern angenommen. In den Flüchtlingslagern (Frakapor und Karamanlis) verteilte er mit seinem Team von Beginn an zusätzliches Trinkwasser, organisierte Kochmöglichkeiten und Internetzugänge. Unter anderem rief Swisscross.help in beiden Camps je eine Schule „Cultural Center“ und einen „Shop“ ins Leben, über den die Menschen mit einem Punktesystem Nahrungs- und Hygieneprodukte beziehen können. Die Schule wird weitestgehend von den geflüchteten jungen Menschen selbst geleitet. Ausschließlich der Griechisch- und Deutschunterricht wird von griechisch- beziehungsweise deutschsprachigen Freiwilligen durchgeführt.

Der „Shop“ versorgt die Menschen neben Shampoo,Wasch- und Spülmittel mit reichhaltigen Nahrungsmitteln wie Gemüse, Milch und Brot. Die zusätzlichen Nahrungsmittel sollen über die Catering-Lieferungen hinausgehen, sodass Mangelerscheinungen vermieden werden. Außerdem soll den Menschen mit der Möglichkeit, ihr Essen selbst auszusuchen, ein Stück Freiheit eingeräumt werden. Jeder Person stehen täglich zwei Punkte zur Verfügung, ein weiterer Punkt im Falle von Diabetes. Für einen Punkt erhält man beispielsweise zwei Tomaten. Shampoo oder eine Gaskartusche „kosten“ allerdings bereits vier Punkte. Innerhalb von einer Woche können sich nicht verwendete Punkte summieren.

Nudelbox

Mittag- und Abendessen, Catering Service

Mittagessen, eigene Zubereitung

Mittagessen, eigene Zubereitung

Neben Logistikaufgaben des Ladens war aktuell die Versorgung mit Decken und Winterjacken von großer Bedeutung. Die Temperaturen sinken langsam und die Menschen haben als Nachwirkung der Idomeni-Zeit große Angst vor dem Winter.

Im Flüchtlingslager Frakapor, in dem ich größtenteils tätig war, leben über 500 Menschen. 120 Zelte wurden vom griechischen Militär in und außerhalb einer alten Fabrikhalle aufgestellt.

Frakapor Flüchtlingslager

Frakapor Flüchtlingslager

Kochstelle: da einige Familien keinen Gaskocher haben, nutzen sie Feuerstellen

Kochstelle: da einige Familien keinen Gaskocher haben, nutzen sie Feuerstellen

Die Fabrikhalle liegt gegenüber einer Kläranlage, sodass Luft und Wasser nach Fäkalien riechen. Dennoch: Wenn man nur ein paar Tage im Camp Frakapor verbringt, bleibt einem vielleicht der Eindruck, dass die Menschen hier doch gut versorgt sind – also kein Grund zur Panik. Sie überleben.

Doch was macht das Leben eines Menschen aus – was unterscheidet den Menschen vom Tier?

Bild: Reshan Barjs (21 J.), Bewohnerin des Lagers Frakapor

Bild: Reshan Barjs (21 J.), Bewohnerin des Lagers Frakapor

Was, wenn die Grundbedürfnisse wie Essen, Trinken und Schlafen weitestgehend befriedigt sind? Der Mensch strebt nach Autonomie, die unter den aktuellen Umständen im Camp Frakapor extrem eingeschränkt ist. Für Selbstbestimmung ist hier kein Platz; besonders in Bezug auf die Zukunftsplanung.

Für geflüchtete Menschen in Griechenland gibt es drei legale Zukunftsoptionen. Nach einer Vorregistrierung können sie

a) versuchen, über das sogenannte „Relocation Program” in ein anderes EU-Land umgesiedelt zu werden

b) um Familienzusammenführung bitten, wenn bereits Familienmitglieder in einem anderen Europäischen Land Asyl beantragt haben

c) Asyl in Griechenland beantragen.

Knapp eine Woche nach meiner Ankunft wurden die Termine für die Interviews für das „Relocation Program“ bekannt gegeben. Die Stimmung im Camp war seit der Bekanntgabe der Termine extrem gedrückt, die Blicke der Menschen leerer.

Nachdem die Menschen bereits seit sieben Monaten festsitzen, müssen nun viele von ihnen weitere sieben bis acht Monate ausharren: die Interviewtermine liegen teils im Mai 2017. Dem Interview folgen weitere Wochen oder gar Monate des Wartens, der Unsicherheit. Acht Wunschländer müssen beim Interview angegeben werden. Welches dieser acht Länder es wird, bleibt ungewiss. Sie sind dem System ausgeliefert. Wie der Winter in diesen Flüchtlingslagern überstanden werden soll – auch diese Frage bleibt bisweilen ungeklärt.

Als freiwilliger Helfer fühlt man sich daher ebenso machtlos und ausgeliefert. Denn man kehrt in ein Land zurück, in dem ganz andere Fragen im Vordergrund stehen: Wie gelingt Integration am besten? Schaffen wir das? Was wollen wir schaffen und wer steht uns dabei im Wege? Und warum nehmen die anderen EU-Länder eigentlich keine Flüchtlinge auf?

Griechenland steckt neben all dem auch noch in einer tiefen Wirtschafts- und Finanzkrise. „Wir dürfen Griechenland mit dem Flüchtlingsproblem nicht alleine lassen.”, so der Präsident des Europaparlaments Martin Schulz Ende Mai 2016. Alle 28 Mitgliedstaaten sollen sich beteiligen. Doch einige weigern sich. Schulz führte fort, dass es „(…) in der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts, in der wir leben, (…) keine nationalen Antworten auf globale Probleme wie die Migration mehr gibt”.

Die Mitgliedsstaaten sollten also mehr Hand in Hand arbeiten. Es sollten mehr ausgebildete Fachkräfte aus verschiedenen Ländern in den griechischen Asylbüros mitwirken, um den Prozess zu beschleunigen. Weitere sieben Monate Leben im Zelt – das zermürbt den Geist der Menschen, der auf Grund von Kriegserfahrungen grundsätzlich belastet ist. Wohin mit Gedanken an das Heimatland, an Hinterbliebene, an Verstorbene, und wohin mit der Sehnsucht nach den Familienmitgliedern? Der Prozess der Traumatisierung hat kein Ende und es fühlt sich für die Menschen wie ein nicht enden wollender Alptraum an. Ich behaupte, dass jede Frau zu Weinen beginnt, wenn man sich auf sie und ihren Zustand einlässt. Wir haben viele Frauen und auch Männer trösten müssen. Das Weltbild der festsitzenden Menschen in Griechenland wird stetig negativer. Mein ständiger Begleiter und freiwilliger Helfer, selbst ehemaliger Bewohner des Camps, formulierte es so, dass hier eine Kriminalisierung der Menschen stattfindet. Bin ich selbst nichts wert, ist der andere auch nichts wert. Lieferst Du mir über zwölf Monate hinweg mein Essen, würdigst mich aber keines Blickes, so nehme ich mir morgen Dein Fahrrad.

Daher ist die freiwillige Hilfe dort sehr wichtig. Wir wollen ihnen zeigen, dass sie nicht vergessen wurden. Wir möchten den Menschen zeigen, dass sie gleich viel wert sind wie wir. Der einzige Unterschied ist, dass wir für teils 20 Euro in das Flugzeug steigen dürfen, wofür sie 3000 Euro benötigen, sich gegebenenfalls die Haare blond färben und einen Sonnenhut anziehen müssen. Wenn einem die 3.000 Euro zur Verfügung stehen, durchläuft man als Geflüchteter demütigende Versuche, an der Passkontrolle vorbei zu kommen. Wird der illegale Fluchtversuch bemerkt, schickt die griechische Polizei den Geflüchteten zurück ins Camp. Wenn ihnen danach ist, geben die Polizisten den Tipp, der Pass der Mutter müsse noch einmal überarbeitet werden, der des Kindes sei aber bereits akzeptabel. Meinem Verständnis nach wird die Würde der Geflüchteten mit Füßen getreten. Was gerade in Griechenland, also in Europa passiert, nenne ich menschenverachtend. Wir alle können uns die Frage öfter stellen, was uns das Privileg hier geboren zu sein, wert ist, und ob man dieses Distanz-Gedankenkonstrukt gegenüber der flüchtenden Menschen aufzulösen vermag. Über kulturelle Unterschiede bin ich mir bewusst, und kann nur aus meiner Sicht sagen, dass ich die arabische Kultur als unheimlich spannend und bereichernd empfinde. Und auch über grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten lässt sich mit den geflüchteten Menschen sprechen. Es gibt neben dem Streben nach einem Leben in Frieden noch viele weitere Gemeinsamkeiten. Ich denke, gemeinsam sind wir stärker. Abwehr lässt diese Zusammenarbeit nicht zu und ich hoffe, dass so manch eine Angst durch den Kontakt zu den Geflüchteten aufgehoben werden kann.”

Junge

© Abdulazez Dukhan

Wenn Ihr Fragen zur Flüchtlingshilfe in Griechenland habt, könnt Ihr gerne eine Mail an media@kreuzberg-hilft.com schreiben. Wenn Ihr selbst in Griechenland helfen wollt, könnt Ihr Euch auf folgenden Webseiten die Arbeit genauer angucken:

Schwizer Chruez

Border Free

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Auf unserem Kreuzberg hilft Blog möchten wir Euch über Aktuelles und Interessantes rund ums Thema Flucht und Ankommen informieren. Dabei sollen neben unseren eigenen Beiträgen auch Gastbeiträge neue Themen und Perspektiven ermöglichen. Wir wählen dafür ausschließlich Beiträge aus, die unserer Grundeinstellung entsprechen, was aber nicht bedeuten muss, dass wir den Gastautor_innen in jedem Detail zustimmen.

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